Hargassner Ges mbH

Mit Digitalem Zwilling zu nachhaltigen Heizanlagen

Durchgehende Automatisierungskette ermöglicht Schaltanlagenbau-Insourcing: Das Familienunternehmen Hargassner zählt zu den Pionieren und führenden Anbietern von Biomasse-Heizanlagen jeder Größe. Mit einem ähnlich hohen Automatisierungsgrad wie alle anderen Teile ihrer Anlagen entwickelt und fertigt Hargassner nun auch die darin verbauten Schaltanlagen. Dazu nutzen sie die Daten des digitalen Zwillings der Anlage. Diese durchziehen wie ein digitaler roter Faden die gesamte Wertschöpfungskette, von der Schaltplanerstellung und Schaltschrankkonstruktion über die Blech- und Langteilebearbeitung sowie Drahtkonfektion bis zur Bestückung und Verdrahtung. Der Zugewinn an Qualität, Agilität und Flexibilität stärkt die globale Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.

Text: Peter Kemptner für x-technik Verlag/Fachzeitschrift AUTOMATION 

Anton Hargassner, geschäftsführender Gesellschafter bei Hargassner: „Die durchgängige Digitalisierung mit Eplan-Software und Rittal-Maschinen auf Basis des Digitalen Zwillings ermöglicht einen Schaltanlagenbau im eigenen Haus mit einem Automatisierungsgrad, wie wir ihn aus anderen Bereichen unserer Produktion kennen.“

Heizen mit Holz ist keineswegs neu, konnte jedoch in der Vergangenheit oft nicht den Komfort einer Öl- oder Gasheizung bieten. Bis der Sohn eines Landwirts und Waldbesitzers Anton Hargassner sen. seiner Frau versprach: „Ich bau dir eine Holzheizung, bei der du nie wieder nachlegen musst!“ Da es etwas Derartiges nicht zu kaufen gab, blieb ihm nur der Selbstbau.

Das war der Startschuss zu einem der weltweit bedeutendsten Hersteller vollautomatischer Biomasseheizungen. Die 1984 gegründete Hargassner Ges.m.b.H mit Sitz in Weng im Innkreis (OÖ) beschäftigt mittlerweile rund 1.200 Mitarbeitende und liefert jährlich mehr als 28.000 Biomasse-Heizungen in die ganze Welt. Hargassner-Heizungen gibt es für Hackgut, Pellets, Stückholz und Elefantengras sowie Pellets/Stückholz-Kombination.

Das Gros der Anlagenstückzahlen ist für kleinere Objekte mit Pellets vorgesehen und heizt in erster Linie Ein- und Zweifamilienhäuser. Das Angebotsportfolio reicht jedoch von der Landwirtschaft bis zur Industrie. Dort kommen Großanlagen mit bis zu 10 MW Heizleistung zum Einsatz. Darüber hinaus kann das Unternehmen seit der Integration entsprechender Fachbetriebe auch Solaranlagen anbieten.

Beim Montieren der Kabelkanäle und Hutschienen sowie beim Verlegen der konfektionierten Drähte erhalten die Hargassner-Elektromonteure Unterstützung durch die Eplan-Softwareprodukte Eplan Smart Mounting und Smart Wiring.

Insourcing der Elektrotechnik

Die Anlagen werden mit einem hohen Wertschöpfungsanteil im Haus konstruiert und gefertigt. Dabei investierte Hargassner bereits seit Jahrzehnten immer wieder in die Automatisierung, um trotz des gehobenen Lohnniveaus international wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese reicht vom Robotereinsatz in der Blechbearbeitung bis hin zu Fahrerlosen Transportsystemen in der Montage. Auch die für die komfortable Bedienphilosophie von Hargassner-Heizungen entscheidende Softwareentwicklung erfolgt überwiegend im Haus.

Im Gegensatz dazu hatte Hargassner jahrzehntelang nur den elektrischen Teil der kleineren Heizungen im Haus geschaffen. Die Schaltschränke für die größeren Anlagen jedoch an externe Schaltanlagenbauer vergeben. Anton Hargassner, Geschäftsführender Gesellschafter bei Hargassner, wollte auch hier durch einen höheren Eigenfertigungsanteil von langen Lieferketten unabhängiger werden und vor allem die Qualität besser steuern können.

Auslöser war die Gründung der Industriesparte mit Anlagen bis 10 MW Heizleistung nach der Übernahme des Unternehmens Gilles, bei denen jeder Schaltschrank ein Unikat ist, ebenso wie bei den Hackschnitzel-Blockheizkraftwerken von Hargassner.

Hoch automatisierter Schaltanlagenbau

„Allerdings erschienen mir die Investition und der erforderliche Wissensaufbau für einen Elektroanlagenbau mit traditionellen Mitteln zu groß, ebenso der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften“, sagt der Unternehmer. „Auch dieser Bereich sollte einen hohen Automatisierungsgrad aufweisen.“ Deshalb reifte der Entschluss, die gesamte Wertschöpfungskette im Elektroanlagenbau auf neue Beine zu stellen, von der Konstruktion über die mechanische Bearbeitung der Montageplatten, Gehäuseteile und Türen sowie Hutschienen und Kabelkanäle sowie die Drahtkonfektionierung bis zur Montage und Verdrahtung der Schaltschränke.

„Uns war klar, dass wir dazu auch bei der Software aufrüsten mussten“, sagt Robert Burger, der die 12-köpfige Elektrowerkstatt bei Hargassner leitet. „Nur auf Basis eines Digitalen Zwillings lässt sich die Schaltanlagenfertigung in dem von uns angestrebten Ausmaß automatisieren.“ Obwohl Hargassner in der Vergangenheit keine Schaltschränke und ähnliche Produkte von Rittal erworben hat, wurde Rittal nach gründlicher Marktanalyse rasch als bevorzugter Partner für das Insourcing des Schaltanlagenbaus ausgewählt. „Wir stellten fest, dass nur die Kombination von Rittal mit seiner Konzernschwester Eplan in der Lage sein würde, unsere Anforderungen zu erfüllen“, erklärt Robert Burger. 

Die Schaltplandaten aus Eplan Electric P8 fließen in die 3D-Schaltschrankkonstruktion in Eplan Pro Panel ein. Dort entsteht der Digitale Zwilling der Schaltanlagen.

Daten vom digitalen Zwilling

Der Digitale Zwilling der Schaltanlagen entsteht aus der Elektrokonstruktion. Dafür reicht allerdings der Schaltplan nicht aus, der bisher die alleinige Arbeitsgrundlage für die Schaltschrankbauer bildete. Zusätzlich zum bereits seit Jahren verwendeten Elektroplanungstool Eplan Electric P8 ist deshalb Eplan Pro Panel für die Schaltschrank-Konstruktion in 3D erforderlich. Damit erstellen die Konstrukteure den Digitalen Zwilling der Anlagen.

Dazu nutzen sie die 3D-Modelle der verbauten Komponenten. Viele davon sind gemeinsam mit den elektrischen Eigenschaften im virtuellen herstellerunabhängigen Teilekatalog Eplan Data Portal verfügbar, selbstverständlich auch sämtliche Produkte von Rittal. Eplan Pro Panel ermittelt auf Basis der Anordnung der elektrotechnischen Komponenten und der Verbindungen dazwischen sämtliche für den automatisierten Schaltanlagenbau erforderlichen Daten.

Dazu gehört die automatische Ableitung der Programme für spezialisierte CNC-Fräsbearbeitungszentren für die Herstellung von Bohrungen, Gewinden und Ausschnitten in den Blechteilen und für das Ablängen von Hutschienen und Kabelkanälen. Ebenso zählen dazu aber auch die Informationen, die für das Konfektionieren der zu verlegenden Kabel und Drähte benötigt werden, von Querschnitt und Länge über die Art des Abisolierens und der Adernendhülsen bis zur Beschriftung.

Auf Basis der Daten aus Eplan Pro Panel versieht das CNC-Bohr- und Fräszentrum Perforex MT S die Montageplatten, Gehäuseteile und Türen der Schaltschränke vollautomatisch mit den benötigten Bohrungen, Gewinden und Ausschnitten.

Automatisierte Bearbeitung

Rittal Automation Systems bietet sehr ausgereifte Maschinen für die mechanische Bearbeitung von Schaltschrankelementen an. Dazu gehört das CNC-Bohr- und Fräszentrum (Milling Terminal) Perforex MT S. Dieses versieht die Montageplatten, Gehäuseteile und Türen der Schaltschränke vollautomatisch mit den benötigten Bohrungen, Gewinden und Ausschnitten. Das erfolgt auf Basis der Daten des Digitalen Zwillings, die das Perforex MT S selbstständig aus Eplan Pro Panel übernimmt, sodass beim Anwender kein CAD/CAM-Wissen erforderlich ist. Das System verfügt über die Möglichkeit der Jobverwaltung über die Rittal-Software RiPanel Processing Center zur Optimierung der Abläufe zwischen den Aufträgen und des Materialverbrauches.

Ebenfalls auf Basis der Informationen vom Digitalen Zwilling aus Eplan Pro Panel arbeitet das Zuschnittscenter Secarex AC 18. Es längt schnell und präzise Verdrahtungskanäle und deren Deckel, Tragschienen und Stromschienen der Dimension NLS-CU 3/10 ab. Für deren Beschriftung verfügt es über einen integrierten Etikettendrucker. Auch dieses Zuschnittscenter kann die Daten direkt aus Eplan Pro Panel übernehmen. Darüber hinaus bietet es eine projektübergreifende Verschnittoptimierung.

Knackpunkt Drahtkonfektionierung

Die Königsdisziplin in der Schaltanlagenautomatisierung ist die Drahtkonfektionierung. „Die Möglichkeit, die Drähte bereits in der passenden Länge sowie mit der richtigen Adernendbehandlung und Beschriftung zu erhalten und nur noch verlegen zu müssen, dreht den Arbeitsablauf am Schaltschrank um 180 °“, ist Burger überzeugt. „Die enorme Reduktion der verschiedenen Arbeitsschritte verringert nicht nur die erforderliche Zeit, sondern beseitigt auch einige Fehlerquellen.“

Der von Rittal auf der 2018 erstmals vorgestellte Wire Terminal WT schafft die Drahtkonfektion um ein Vielfaches schneller als jeder Elektriker und sorgt dabei für eine gleichbleibend hohe Qualität. Als einzige multifunktionale Bearbeitungseinheit auf dem Markt kann es die Drahtkonfektionierung von der Rolle bis zum einbaufertigen Element durchführen und die fertigen Konfektionen in geordneter, leicht handhabbarer Form bereitstellen.

Anlässlich der Smart Automation im Herbst 2021 konnten die Elektrotechniker von Hargassner das Rittal Wire Terminal 2021 unter die Lupe nehmen. Obwohl die solide verarbeitete Maschine in vielen Aspekten genau das war, was sie suchten, und sie auch mit relativ wenig Aufstellfläche auskam, benötigte Hargassner ein anderes Ablagesystem für die fertigen Drähte mit Schienenmagazinen. Deshalb wollte man die neue Generation des Wire Terminals abwarten.

Vollautomatisch, einschließlich Abisolieren in Voll- und Teilabzug, Crimpen und Beschriftung, erfolgt das Konfektionieren von Drähten mit Querschnitten von 0,5 bis zu 6 mm² im Wire Terminal WT C.

Automat der zweiten Generation

Auf der SPS 2022 präsentierte Rittal die Wire Terminal WT C genannte zweite Generation, mit der sich Drähte zehnmal schneller konfektionieren lassen als per Hand. Durch eine neue, voll integrierte Crimper-Lösung mit Servotechnik können ohne Umrüsten bis zu 36 verschiedene Drähte mit Querschnitten von 0,5 bis 6 mm² produziert werden. Das Abisolieren kann dabei im Voll- und Teilabzug erfolgen. Und das Gerät kann durch integrierte Rütteltöpfe lose Adernendhülsen mit 8 bis 18 mm Länge verarbeiten.

Vielfältige Ausgabemöglichkeiten

„Das Wire Terminal C kann die fertig konfektionierten Drähte nicht nur in der richtigen Einbaureihenfolge in 15 der patentierten Drahtschienen für bis zu 2.100 Drähte für die Weiterverarbeitung zur Verfügung stellen“, präzisiert Stefan Hell, Kundenbetreuer bei Rittal. „Alternativ kann es die Drähte nun auch einzeln ausgeben oder in Form von Kettenbündeln bereitstellen.“

„Die Möglichkeit zur Ausgabe der konfektionierten Drähte in Form von Kettenbündeln bietet die ideale Voraussetzung zum Beliefern unserer externen Produktionsstandortes“, freut sich Burger. „Gemeinsam mit der Entscheidung von Rittal, uns als Beta-Tester in die Spätphase der Entwicklung einzubeziehen, beschleunigte das unsere Entscheidung für diese weitreichende Investition.“

Durchgehende Automatisierungskette

Durch die Anschaffung einer Kombination aus Rittal-Maschinen sowie Software von Eplan und Rittal gelang es Hargassner, einen digitalen roten Faden durch den gesamten Elektroanlagenbau zu ziehen, von der Konstruktion bis zur Bestückung und Verdrahtung.

Die Schaltplandaten aus Eplan Electric P8 fließen in die Schaltschrankkonstruktion in Eplan Pro Panel ein. Dort wird der digitale Zwilling der Schaltanlagen gebildet, dessen Daten alle weiteren Schritte steuern. So entstehen im CNC-Bohr- und Fräszentrum Perforex MT S weitgehend automatisiert die bearbeiteten Blechteile, im Zuschnittscenter Secarex AC 18 die fertig abgelängten und beschrifteten Trag- und Stromschienen sowie Verdrahtungskanäle und im Wire Terminal WT C die verlegefertigen Drahtkonfektionen.

Damit ist jedoch das Ende des digitalisierten Schaltanlagenbaues auf der Grundlage durchgängiger Daten aus dem Digitalen Zwilling bei Hargassner noch nicht erreicht. Bei der Montage der Trag- und Stromschienen sowie Verdrahtungskanäle unterstützt die Software Eplan Pro Panel die Elektromonteure durch exakte Vorgabe der Arbeitsschritte mit vollgrafischer Darstellung. Gleiches gilt für die Verdrahtung, die mit Unterstützung durch die Software Eplan Smart Wiring erfolgt.

Gestärkte Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit

„Durch Insourcing mit hohem Automatisierungsgrad haben wir nicht nur Verfügbarkeit und Qualität besser im Griff“, zeigt sich Robert Burger begeistert. „Die Softwareprodukte Eplan Smart Mounting und Eplan Smart Wiring für die manuelle Verdrahtung ermöglichen uns, in der Produktion zur Abdeckung von Bedarfsspitzen auf Mitarbeiter zurückzugreifen, bei denen es sich nicht um erfahrene, gelernte Elektronistallateure handelt.“

„Die durchgängige Digitalisierung mit Eplan-Software und Rittal-Maschinen auf Basis des Digitalen Zwillings ermöglicht einen Schaltanlagenbau mit einem Automatisierungsgrad, wie wir ihn aus anderen Bereichen unserer Produktion kennen“, bestätigt Anton Hargassner. „Unser Entschluss, diesen in dieser Qualität ins Haus zu holen, stärkt unsere globale Wettbewerbsfähigkeit.“

www.rittal.at

www.hargassner.at

Die Hargassner Ges mbH wurde 1984 mit der Idee gegründet, Holzheizungen zu produzieren, bei denen das Nachlegen entfällt. Damit gehört das eigentümergeführte Familienunternehmen zu den Pionieren der Biomasseheizung. Auf einer Firmenfläche von 75.000 m² am Hauptstandort in Weng/I. (OÖ) und mehreren Standorten in Europa produzieren knapp 1.200 Mitarbeitende mehr als 28.000 Heizungsanlagen, der Exportanteil beträgt 75 bis 80 Prozent.